Dienstag, 18. November 2008

Konzeptionelle Bemerkungen zum "Berlinprojekt"

Konzeptionelle Bemerkungen zum Berlinprojekt

Konzeptionelle Bemerkungen zum Berlinprojekt



Nach der Ermordung des nationalistischen kolumbianischen Politikers Jorge Eliecer Gaitan brach kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Bürgerkrieg in diesem südamerikanischen Lande aus, der als der heftigste und langanhaltendste aller Auseinandersetzungen in den sogenannten „Ländern der Dritten Welt“ betrachtet wurde.

Nach der Phase der „Violencia“, einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Anhängern der liberalen und konservativen Parteien, die „Zehntausende“ von Opfern in verschiedenen Regionen des Landes gefordert haben soll, bildeten sich mehrere Gruppen bewaffneter Aufständischer, die sich ideologisch an kommunistischen Regimen, insbesondere den Regierungskonzepten Moskaus, Pekings, Havannas, Tiranas, Bukarests und Ost-Berlins orientiert haben.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges bestand geopolitisch gesehen in den historisch von Auswanderern aus Europa und Afrika besiedelten Ländern Zentral- und Südamerikas – den ehemaligen spanischen, portugiesischen, englischen, niederländischen und französischen Kolonien – eine Vorherrschaft der Vereinigten Staaten von Amerika (USA), deren Regierung damals weitgehend die Personalzusammensetzung und Politik der lateinamerikanischen Landesregierungen bestimmte und diese Regime durch Militärhilfe stützte.

Erklärtes Ziel der Auftstandsbewegungen - und nicht nur der kolumbianischen – war die Beendigung der Dominanz nordamerikanischer Politikvorgaben und die verstärkte Berücksichtigung nationaler Interessen mit dem Ziel der innenpolitischen Verselbständigung und Lebensstandardhebung in den einzelnen Ländern.

Die historisch bedeutendsten „Guerrilla“-Gruppen Kolumbiens waren die FUERZAS ARMADAS REVOLUCIONARIAS COLOMBIANAS (FARC), die MOVIMIENTO 19 DE ABRIL (M19), das EJERCITO DE LIBERACION NACIONAL (ELN) und das EJERCITO POPULAR DE LIBERACION (EPL).

Die Bekämpfung und Verfolgung der aufständischen Gruppen durch den Staat erfolgte offiziell durch die FUERZAS ARMADAS DE COLOMBIA (FAC) und die POLICIA NACIONAL (PONAL), inoffiziell durch „außerdienstliche“ Aktivitäten von Mitarbeitern des staatlichen Sicherheitsapparates (PARAMILITARES, PARAS), durch von Privatpersonen bzw. privaten Interessensverbänden oder Betroffenenverbänden organisierte bewaffnete Privattruppen (ebenfalls PARAMILITARES) und von ausländischen „Geheimdiensten“ entsandte oder angeforderte Spezialisten zur Aufstandsbekämpfung (auch PARAMILITARES genannt).

Unterstützt wurden die Aufstandsbewegungen je nach wechselnder internationaler und innenpolitischer Interessenslage durch Geld-, Material- und Waffenlieferungen aus dem Ausland (insbesondere Osteuropa, China, Sowjetunion) durch Weiterverkäufe von Militärausrüstung durch „befreundete“ Interessensgruppen aus Nachbarländern, in denen bisweilen ebenfalls Bürgerkriege herrschten sowie landesintern durch die sich von den Aufständischen vertreten fühlenden Bevölkerungsteile.

Polemik in der Öffentlichkeit Kolumbiens lösten in diesem Zusammenhang insbesondere Presseberichte über angeblich vom Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR per Schiff über den Rostocker Hafen gelieferte AK-47 Schnellfeuergewehre sowie angeblich über Guerrillagruppen aus Zentralamerika beschaffte, infrarotgesteuerte Boden-Luft-Raketen aus.

Die unkontrollierte Zunahme bewaffneter Verbände, der zunehmende Waffenhandel zwischen staatlichen und parastaatlichen Verbänden, die zunehmende Einflussnahme internationaler Interessensgruppen, die Vermischung der Konfliktgründe und Konfliktebenen führten dazu, dass der kolumbianische Bürgerkrieg eine Dynamik erhielt, die ihn zunehmend unübersichtlicher und zu einer Einkommensquelle für die innere Ökonomie des Landes werden ließ (Entführungswesen, Entwicklungshilfe, Aufstandsbekämpfungsprogramme, Programme zur Infrastrukturverbesserung, Kombattanten-Reintegrationsprogramme, Polizeihilfe, Ausbildungsprogramme, Gesundheitsprogramme, Beerdigungswesen, etc.).

Mit zunehmender Konfliktdauer und insbesondere nach Beendigung der ideologischen Blockkonfrontation zwischen kapitalistischen und kommunistischen Staaten zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden vermehrt politische Versuche unternommen, den kolumbianischen Bürgerkrieg ähnlich wie die Guerrilla-Kriege in Südostasien, Afrika, Zentralamerika und einigen Ländern Südamerikas friedlich beizulegen.

Dies erforderte die Reintegration der kämpfenden Truppen ins Zivilleben und eine Entwaffnung der bewaffnet agierenden Verbände.

Erfahrungen der sich zu Beginn des vergangenen Jahrzehntes nach vertrauensbildenden Maßnahmen der damaligen kolumbianischen Regierungen unter Belisario Betancur und Virgilio Barco über das Engagement u.a. in der neugegründeten politischen Partei UNION PATRIOTICA (UP) ins Zivilleben reintegrierenden ehemaligen Kämpfer der FARC, M19 und EPL zeigten, dass zu diesem Zeitpunkt der gesellschaftliche „Wert“ der Beendigung bewaffneter Auseinandersetzungen offensichtlich geringer geschätzt wurde als die Weiterverfolgung der im Laufe des Bürgerkrieges entstandenen Feindseligkeiten.

Hierbei zeigte sich, dass trotz des erklärten politischen und juristischen Willens der jeweiligen Regierungen, durch eine Amnestie der im Rahmen der kriegerischen Auseinandersetzungen aus juristischer Sicht begangenen „Straftaten“, die Reintegration der kämpfenden Truppen ins Zivilleben zu ermöglichen, in zahlreichen Fällen praktisch eine „außergerichtliche Aburteilung“ der Kombattanten oder sie unterstützender Zivilisten stattfand.

Diese extrajustiziären „Prozesse“ fanden dabei vermutlich in Form traditioneller Gruppenrituale statt, die möglicherweise auch die Ermordung oder Tötung (Hinrichtung) der Betroffenen zur Folge gehabt haben können.

Das „Berlinprojekt“ von CID – Forschung entwickelte sich originär aus einer solchen Situation von politischen Gewaltakten ab 1992 direkt betroffener deutsch-kolumbianischer Familienkreise.

Ursächlich steht das Projekt in Bezug zur Ermordung des kolumbianischen Rechtsanwaltes und ehemaligen Politikers der ALLIANZA POPULAR (ANAPO), Dr. José Mario Montoya Hernandez am 8. Dezember 1992, von dem die im Juli 1985 mit dem Autor der in der Schriftenreihe Landeskunde publizierten Titel besprochene Idee der Dokumentation der 93 registrierten kolumbianischen Berlin-Siedlungen in Buchform stammte.

Bereits im Konzept zum Forschungsprojekt „Los Berlines“ wird zum Ausdruck gebracht, dass es: „Eigentliches Ziel war, in einem Land starker politischer Gegensätze und heftiger Auseinandersetzungen, in dem viele Konflikte bzw. deren Ursachen auch heute noch auf „politischen Mythen“ und Zerrbildern der Vergangenheit basieren, einen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zur Konfliktüberwindung zu leisten“.

Anders formuliert wird im Bericht Oktober 1999 bis Juni 2002 als „weitergehendes Arbeitsziel“ die: „... Überwindung teilweise auf Vorurteilen aber auch auf historischer Erfahrung beruhenden Standpunkten zu geschichtlichen Ereignissen zwischen verschiedenen ethnischen oder regionalen Bevölkerungsgruppen Kolumbiens“ genannt.

Es ist also vom konzeptionellen Ansatz des Berlinprojektes möglich, dieses Forschungs- und Dokumentationsvorhaben als vertrauensbildende Maßnahme zu bezeichnen, die die friedliche Beendigung der gewalttätigen Auseinandersetzungen im kolumbianischen Bürgerkrieg zum Ziel hatte.

Dabei orientierte sich die Projektleitung am Konzept der „PEACE BRIGADES INTERNATIONAL (PPI)“, deren Mitarbeiter durch persönliche Präsenz in Konfliktgebieten und als Begleiter als bedroht oder gefährdet eingeschätzter Personen einen Sicherungsbeitrag in Form der Funktion „lebendiger Schutzschilde“ leisten.

Unvoreingenommenes Herangehen an Konfliktsituationen mit dem Ziel der Konfliktüberwindung ist nur Personen möglich, die nicht selbst in die bisherigen gewaltsamen Auseinandersetzungen eingebunden waren. Eine weitgehende Unkenntnis der detaillierten Ereignisabläufe der Auseinandersetzungen ist dabei insofern von Vorteil, dass von den Konfliktmoderatoren dann nicht von Vorneherein Partei für oder gegen eine der am Konflikt beteiligten Personen oder Gruppen bezogen würde.

Die Konfliktmoderatoren übernehmen so mit der Zeit die Funktion von unparteiischen Garanten. Ihre Präsenz dient der Vertrauensbildung in die Stabilität des Friedensprozesses und in die Vermeidung der Eingangs erwähnten „extrajustiziären Prozesse“.

Hieraus geht hervor, dass durch persönliche Präsenz wirkende Konfliktmoderatoren mit der Zeit eine Verantwortung für Leben und Sicherheit der Personen übernehmen, die in Folge der Vertrauen fördernden Tätigkeit der Moderatoren beginnen, sich auf deren Garantenfunktion zu verlassen.

Desweiteren liegt es in der Eigenverantwortung des Konflikmoderatoren, zu überwachen, dass sie nicht selbst im Verlaufe ihrer Tätigkeit und mit wachsendem Überblick über die Konfliktereignisse beginnen, Partei für oder gegen bestimmte der am Konflikt beteiligten Personen oder Gruppen zu ergreifen.

Schließlich liegt es aber insbesondere in der Verantwortung der Garanten, zu erkennen, ob und wann einzelne Akteure der Auseinandersetzung beginnen, die durch die Vertrauensarbeit entstehende Vertrauensbasis für ihre eigenen Interessen auszunutzen.

Unter Berücksichtigung der einleitend beschriebenen negativen Erfahrungen mit Reintegrationsprozessen von ehemaligen militärischen Kämpfern birgt jegliche, mit dem Ziel eine Auseinandersetzung schlichtenden, vertrauensbildende Maßnahme also die Gefahr, dass aus einem „verdeckten Hintergrund“, dessen Gestalt und Intentionen dem Konfliktmoderatoren unbekannt sein mögen, heraus und unter Ausnutzung der Momentansituation der militärischen Entspannung entgegen den Intentionen der an der Beendigung von Gewaltakten arbeitenden Garanten agiert wird.

Das heißt im Klartext, dass die Garanten das Risiko eingehen, beispielsweise für Fallen verantwortlich gemacht werden, die von ehemaligen Kriegsgegnern der sich in die Zivilgesellschaft integrierenden und auf die vertrauensbildenden Maßnahmen der Garanten vertrauenden Ex-Kombattanten diesen gestellt werden, verantwortlich gemacht zu werden.

Hierzu ist abschließend die Frage der Schwierigkeit der Außenkommunikation der Garanten zur Aufrechterhaltung ihrer Garantiefunktion und zur Vermeidung von Konfliktfortsetzungshandlungen bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Unabhängigkeit und Neutralität hervorzuheben, ohne dieses Thema hier im Detail weiter ausführen zu wollen.

25. August 2005

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